Modernes Bewusstsein (Verständnisbringer)
In der Pubertät rebelliert der junge Mensch gegen traditionelle Regeln in Familie und Gesellschaft, die ihn wie ein Korsett einzuengen scheinen. Er erkämpft sich seine erste wirkliche Eigenständigkeit und möchte keinesfalls mehr in die Herde der Masse und den Mainstream zurückfallen. Dabei hilft ihm die rasche Entwicklung im Gehirn, emotional zu reifen, Beziehungen aufzubauen und mit Stress umzugehen, was neben der Experimentierlust und der aufbrechenden Sexualität Voraussetzungen für das spätere Erwachsenenleben sind. In dieser Zeit beginnen junge Menschen auch sich des Blicks durch andere (Aussensicht) bewusst zu werden und sie fangen an, die eigene Unvollkommenheit und Verletzlichkeit, aber auch jene anderer Menschen und der Welt zu spüren: den Weltschmerz. Entgegen diesen neuen Gefühlen möchte der/die Pubertierende aber auch «vernünftig» und bereits «erwachsen» sein und «sicher» erscheinen, was sich in frühreifem Verhalten oder jugendlichem Leichtsinn äussern kann. Manche Jugendliche möchten nonkonform sein, doch es gibt es kaum etwas konformeres als das Verhalten in jugendlichen Peergroups und Subkulturen mit gleichem Outfit, Musikstilen, Sprache und sozialem Etikett. Wer die Antworten und Erklärungen auf Lebensziele und -inhalte subkultureller Gruppen nicht mehr teilt, kehrt meist zum Mainstream zurück. Jugendliche finden in unserer komplex erscheinenden Welt viele Lösungen im rationalen Wissen.
Das Ziel der Sozialisierung in allen westlich geprägten Kulturen ist die Aneignung eines modernen, wissenschaftlich-rationalen Weltbildes. Das Verständnis des kausalen Denkens von Ursache und Wirkung legt fest, was es bedeutet ein «richtiger Erwachsener» zu sein, der in unserer heutigen, hoch technologisierten und digital kodierten Welt rational kompetent, mental gut informiert, linear sowie formal-operational und unabhängig denkend und gleichzeitig ein kritischer Bürger ist. Er betrachtet die äussere Realität von Natur und Gesellschaft als etwas ursprünglich Existentes und von ihm selbst Getrenntes. Man kann sie analysieren und untersuchen, beherrschen und kontrollieren und zum eigenen Vorteil nutzen und gestalten. Die richtigen wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden und Prozeduren führen am Ende zur Entdeckung, wie die Dinge wirklich sind, einschliesslich der menschlichen Natur. Letztendlich können die Gesetze des Universums herausgefunden und bewiesen werden. Diese Sicht basiert auf einer maximalen Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Betrachter und Gegenstand, Denker und Gedanke. Durch das Analysieren der Teile kann das Ganze erkannt werden. Das Sichtbare existiert, alles andere nicht. Aufklärung, Industrialisierung und Moderne schufen diesen neuen Menschentypus: den selbstbewussten, forschenden und fragenden Bürger.
Menschen im modernen Bewusstsein haben den Antrieb in dieser Welt etwas zu erreichen oder zu verbessern, das, was aus ihrer Sicht gut für alle ist und Fortschritt genannt wird. Durch die Suche nach den besten Lösungen in Wissenschaft und Technologie beabsichtigen sie der Gesellschaft etwas beizutragen. Sie haben neue Ideen, setzen Prioritäten, finden perfektere Abläufe und planen gerne strategisch und sind bereit, Risiken einzugehen und mit Versuch und Irrtum auch mal zu scheitern. Mit ihren ausgeprägten kognitiven Fähigkeiten können sie «ihre Welt» beschreiben, von Ökonomie und Technik bis hin zu sozialen und philosophischen Abhandlungen. Mit dieser manchmal brillanten und rein intellektuellen Leistung ist es auch möglich, Theologie zu studieren, ohne jemals einen gefühlten, inneren Bezug zu einer spirituellen Erfahrung zu haben.
Sie lieben es, treibende Kraft, Innovatoren, Initiatoren, Experten und Macher zu sein – oft verbunden mit einem klaren, pragmatischen Führungsstil. Eigenständig und für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich, fortschritts- und zukunftsorientiert, durch ein Bewertungs- und Belohnungssystem motiviert, fortschrittlich und optimistisch, steht die Frage im Vordergrund: Was ist die effizienteste und effektivste Strategie zur Lösung dieser Aufgabe? Denn: Zeit ist Geld und Geld DAS Mittel um Dinge zu erreichen: Wohlstand, Luxus und damit verbunden Einfluss und Ansehen. Dass durch das Zeitsparen (wie bei Momo von Michael Ende) der Verlust der Seele droht, wird noch nicht erkannt. Im zentralen Akt des Vergleichens zählen der/die «Beste», «Schnellste» und «Einflussreichste». Der visionäre Geist sagt, dass jedes «Problem» gelöst werden kann. Alles ist möglich! – auch ein Schaf zu klonen (Dolly) oder riesige Urwaldflächen zu roden, d.h. der ethische «innere Kompass» ist noch lange nicht ausgereift und spielt oftmals eine untergeordnete Rolle.
Der technische Machbarkeitsglaube – bis hin zur Hybris (Selbstüberschätzung) – und die Bewunderung von Effizienz sind manchmal schon fast beängstigend, z.B. wenn es darum geht, nicht nur Abläufe und Produkte zu optimieren, z.B. einen Quantencomputer zu entwickeln, sondern sich selber als Mensch zu optimieren: Transhumanismus und Cyborg mit Bodyhacking sind hier die Stichworte.
Der moderne Mensch öffnet sich langsam Ansichten über sich selbst in Form von Feedback und Alltagspsychologie. Ganz Leistungsmensch neigt er dazu selbstkritisch oder sogar überkritisch zu sein. Ihn interessieren Power-Yoga und Marketingpsychologie alles auf Effizienz und Gewinn ausgerichtet: «Wie kann ich alles, mich selbst eingeschlossen, optimieren? Wie kann ich meine Menschenkenntnisse und mein Wissen über ihre Eigenart dazu einsetzen, um die Ziele noch schneller zu erreichen, um noch mehr Geld zu machen?»
Er erscheint sehr selbstsicher, widerstandfähig und stabil, fühlt sich zuweilen überlegen und lässt sich von keinem irgendetwas sagen, was er nicht schon weiss oder sogar besser versteht. Rationale Argumente und Beweise allein zählen, Daten und Statistiken sind das Medium, um andere zu überzeugen. Wissen und Informationen werden nur dann geteilt, wenn sie Ansehen und wirtschaftlichen Gewinn bringen, sei es der Organisation (Universität, Firma etc.) oder dem eigenen Prestige. Sonst herrscht Abgrenzung und Konkurrenzkampf. Die treibenden Kräfte sind nicht mehr feudale Aufseher oder der drohende Finger Gottes wie im traditionellen Bewusstsein, sondern Wettbewerb, Marktanteile sowie Gewinn. Sie schaffen einige wenige Gewinner/Erfolgreiche und viele Besiegte/Verlierer.
In der westlich geprägten, säkularisierten, areligiösen und wachstumsorientierten Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft ist die freie Marktwirtschaft, deren Sinn auf Freiheit und unbegrenztes Wachstum sowie Wohlstand für alle Menschen ausgerichtet ist, omnipräsent, d.h. alle Lebensbereiche sind mit ihr verbunden und ihr wird alles untergeordnet. In ihr streben alle Menschen hoffnungsvoll nach einem «besseren Leben» in materiellem Wohlstand.
Die Idee des Wachstums ist das Ziel jedes Unternehmers und jedes Unternehmens, sich zu etablieren und zu wachsen und dabei viel Gewinn zu erzielen, der wieder investiert werden kann. Im Idealfall können verantwortungsvolle Unternehmer und deren Angestellte viel lernen und dabei auch die Gesellschaft unterstützen. Freiheit wird dabei wie bei Pubertierenden nicht selten mit einem Freibrief verwechselt, der verantwortungsloses Verhalten gegenüber Mensch und Umwelt rechtfertigen soll. Schwarze Schafe ohne moralischen «inneren Kompass» nutzen legale Systeme hemmungslos aus, beuten die Natur und Menschen skrupellos aus und sind auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie betrachten Spekulationen (inkl. Nahrungsmittel) als Spiel, um zu gewinnen (Casino-Kapitalismus) und freuen sich am Wettbewerb. Dieses rücksichtslose und asoziale Verhalten wird von der «freien Marktwirtschaft» unterstützt und von der Mehrheit der westlichen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft toleriert.
«Wer nichts leistet, ist nichts wert!» Diesem Motto folgend, werden alle so genannt «wirtschaftlich Unproduktiven» und «die Faulen» abgelehnt oder ignoriert. Gemeint sind beispielsweise Künstler, Behinderte, Kranke, kriegstraumatisierte Soldaten, welche aufgrund struktureller Gewalt (Aspekte von Diskriminierung, Armut, Arbeitslosigkeit) leicht durch die Maschen rudimentärer oder fehlender sozialer Netze fallen.
In unserer aufgeklärten, modernen und säkularen Gesellschaft wird alles, was irgendwie unsichtbare, nicht-physische, metaphysische, übernatürliche oder spirituell-religiöse Züge trägt, also (noch) nicht «erklärt» werden kann, abgelehnt oder als rückständig und reine Privatsache betrachtet. Dabei war der Umgang mit dem Übersinnlichen, sei es religiöser oder spiritueller Natur, in allen Kulturen (im magischen Bewusstsein) vorhanden und ist in naturverbundenen, indigenen Kulturen auch heute noch immer präsent.
Im traditionellen Bewusstsein wurde die Welt von der Religion interpretiert, im modernen Bewusstsein ist es die Wissenschaft. Der Glaube an den weisshaarigen «Gott im Himmel» wird durch die wissenschaftlichen «Götter in Weiss» in ihren weissen Kitteln abgelöst.
+ Fördernd ist es, alle Dinge verantwortlich, gewissenhaft und zweckdienlich zu erledigen o ernsthafte Überzeugungen, Seriosität, Idealismus o Aufzeigen verschiedener Möglichkeiten o Freiheit und Demokratie o hoher Wert des Lebens, so dass das Leben unter allen Umständen erhalten werden muss (Intensivmedizin)
- Hindernd sind: o Wissenschaft per se trennt durch Analysen o Gefahr der Vereinzelung: Zeit alleine vor dem Fernseher o leugnet alle früheren und späteren Bewusstseinsebenen o Intuition ist noch kein Thema, nur der Kopf zählt, daher als Abwehrreaktion: Intellektualisierung, Rationalisierung, Verdrängung und Ignorieren der Schattenseiten (beispielsweise die ungelöste Lagerung radioaktiver Abfälle, etc.)
Übergang Orange à Grün (zeitlich bis in die 68er Jahre)
Langsam aber zunehmend beginnt eine erste Öffnung und Orientierung nach innen. Ausschlag dazu können persönliche Krisen in Beruf und/oder Privatleben sein, dann wenn die berufliche Karriere ins Stocken gerät oder Eltern mit ihren Kindern überfordert sind. Wenn dann existenzielle Fragen nicht mehr weggeschoben oder mit Süchten zugedeckt, sondern zugelassen werden, kann das den Beginn einer ernsthaften Innenschau markieren: «Lebe ich das, woran ich glaube?» – «Gibt es noch mehr als Materielles in meinem Leben?» – «Könnte weniger doch mehr sein?»
Es beginnt der schmerzhafte Weg die eigenen Werte zu hinterfragen und aus dem Hamsterrad auszusteigen. Das bedeutet, gewohnte, liebgewordene Konventionen zu verlassen, sich vom bedeutsamen, unablässigen Beschäftigt-sein und von den unzähligen Projekten zu verabschieden und Schritt für Schritt zur Ruhe zu kommen – in die Gegenwärtigkeit eines Augenblicks – vom «human doing» zum wirklichen «human being».
Auf diese Weise beginnen selbstbewusste Menschen sich um ihre Selbsterkenntnis zu kümmern und arbeiten daran, diese durch beginnende Selbstreflexion zu erweitern. Sie erahnen, dass sie sich permanent im Wachstum befinden und zwar in allen 5 Kernkapazitäten: mental, physisch und kreativ, aber auch emotional und evtl. auch bereits ansatzweise spirituell.
Nach der bisherigen Trennung von Körper und Geist wächst ein neuer Sinn für die Verbindung von beiden. Es vollzieht sich ein essenzieller Wandel von einem mehrheitlich intellektuellen Bewusstsein zu einem stärker organischen oder verkörperten Bewusstsein, das bereits rudimentäre Ansätze von Psychologie sowie systemischem Denken mit Schwarmintelligenz (integrales Bewusstsein) zulässt.
Urban