Traditionelles Bewusstsein (Schönheitsbringer)
Auf der Suche nach der eigenen Identität sehnt sich der junge Mensch im Alter von etwa 7-12 Jahren nach Vorbildern, welche «die Welt» erklären und mit denen er sich identifizieren kann sowie nach Vorgaben (Regeln und Gesetze), an denen er sich orientieren und mit denen er sich in die Gesellschaft (Klassenverband) integrieren kann. Er möchte dazugehören, sich austauschen, Teil sein und Anteil nehmen. Dabei gleicht er einem trockenen Schwamm, der alles aus seiner Umwelt aufsaugt und so komplett nach aussen orientiert ist.
Erste Vorbilder sind Eltern und Lehrer, Nachbarn und Freunde der Eltern aber auch zunehmend Popgruppen sowie Helden in Comics, Erzählungen und Filmen. Diese Influencer strahlen Autorität (Macht, Ansehen und/oder Wissen) aus und definieren Vorgaben und schaffen durch ein Gewebe von Moralvorstellungen, Werten und Tugenden eine allgemeine Ordnung: Loyalität, Fleiss, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe und Höflichkeit sind okay, Unaufrichtigkeit, Faulheit, Unzuverlässigkeit, Nachlässigkeit und Ignoranz sind verwerflich. Sie beurteilen richtig oder falsch und setzen dadurch Grenzen und verhängen im Spannungsfeld von Freiheit und Verpflichtung Sanktionen und Strafen. Es sind allgemeine Standards und Normen des zwischenmenschlichen Verhaltens, die definieren, was «normal» ist und dem wachsenden «gesunden Menschenverstand» entspricht.
Im Geschichtsverlauf halten Regeln und Gesetze die frühere rote Impulsivität und rohe, kriegerische Gewalt durch Gehorsam, Schuld und Scham unter Kontrolle, erfüllen das Leben, geben Halt und Sicherheit und ebnen dadurch den Boden für Gemeinschaften, Städte, Königreiche und Imperien in weltlicher und religiöser Form. Dabei spielen Machtansprüche nach wie vor eine sehr wichtige Rolle. Es etablieren sich Traditionen, die ganze Zivilisationen stützen und erst Jahrtausende später (ab dem 19. Jahrhundert) durch eine ausgewogenere Balance von Freiheit und Verpflichtung Nationalstaaten legitimieren. Zudem wächst das Bewusstsein als Mitglied einer Gemeinschaft auch Verantwortung mitzutragen. In der Familie beginnen Kinder «Ämtli» zu übernehmen, im Staat beginnt sich der Bürger für die Entwicklung der Gemeinschaft einzusetzen.
Vertreter von Gesellschaft und Religionen erklären als Beamte, Priester und Schriftgelehrte, welche Konventionen, Reglemente und Heilige Schriften zwingend befolgt werden müssen. Der Vorteil: Wenn man tut, was erlaubt ist und alles vermeidet, was nicht erlaubt ist, gehört man dazu, ist Teil der Gemeinschaft und fühlt sich nicht einsam. Der Mensch passt sich an, wird konform und autoritätsgläubig. Abweichungen, Mehrdeutigkeiten oder Ambivalenzen werden nicht geduldet und nur ungern oder kaum wahrgenommen, denn sie könnten leicht den Kern der noch aufkeimenden Identität gefährden. Kurz gesagt: Legitimität durch Konformität. Daher ist es (noch absolut) undenkbar Kritik an der Gruppe zu üben, geschweige denn aus diesen Konventionen ausbrechen! Das würde bedeuten, den Boden unter den Füssen zu verlieren und in den Augen aller anderen als Verräter dazustehen. Weil «das Gesetz der Tradition heilig ist», werden aufkommende Zweifel oder Probleme verdrängt, verleugnet oder einfach umbenannt, beispielsweise wird Atomkraft zu Kernkraft – wir sind da sehr erfinderisch.
Es gilt nicht Sinn, Ziel und Zweck des Lebens selber zu finden, sondern es gibt dafür einen klaren «Plan», d.h. das Leben hat einen «höheren Sinn» eine vorgegebene Richtung und einen Zweck mit vorherbestimmtem Ausgang und der Mensch muss seinen Platz im Gesamtplan einnehmen. Als «guter Mensch» wird er diesem Plan folgen, z.B. den christlichen 10 Geboten oder der Lehre vom unbegrenzten Wirtschaftswachstum.
Wer dem vorgegebenen Pfad folgt, wird im Leben erfolgreich sein und von «Gott» belohnt, lauten gewisse Heilsversprechen. Daher ist es wichtig als Zeichen des eigenen Erfolgs materielles Vermögen und Statussymbole, Reputation und Prestige zu erwerben, bekannt zu sein und zu netzwerken mit allen, die Rang und Namen haben (Celebrities) – und natürlich, um mit den Nachbarn mithalten und den Status Quo beibehalten zu können. «Geld ist Zeichen dafür, dass Gott dich liebt», predigt der amerikanische Evangelikalismus, der direkt mit dem Mythos des «American Dream» verknüpft ist, d.h. wer hart arbeitet, wird erfolgreich! Das bedeutet Opfer zu bringen, sei es für die Familie oder die Firma, ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit oder eigene Bedürfnisse. Dieser Mythos hat Vorbildfunktion in allen westlich geprägten Gesellschaften bis nach Japan. Und Menschen die sich binden möchten, müssen einer strengen Auswahl standhalten: Sie müssen den gleichen Geschmack, die gleichen Eigenschaften, den gleichen Glauben, das gleiche soziale Niveau und die gleichen Erwartungen haben. Die Werte der eigenen Gruppe, Gang, politischen Partei, religiösen Gemeinschaft oder in Beziehungen mit einem Partner/einer Partnerin werden als starkes «Du sollst» verinnerlicht.
Die innere Welt der Gefühle ist noch nebulös und weil sie nach kulturellen Erwartungen ausgerichtet ist, relativ stereotyp und vorhersehbar. Feinere Unterscheidungen können noch nicht wahrgenommen werden. In diesem ersten, entwurfsmässigen Weltbild fühlt man sich leicht von jedweden abweichenden Forderungen, Sichtweisen, Unterschieden und Komplexitäten verwirrt oder bedroht. So werden unangenehme Gefühle wie Unsicherheit, Ärger oder Aggressionen entweder unterdrückt, durch übermässig positive Gefühle überspielt oder auf ein «Feindbild» projiziert. Durch Ausgrenzung und Marginalisierung ist es leicht die «anderen» herabzusetzen oder moralisch zu verurteilen, z.B. Minderheiten wie Andersdenkende, LGBTQIA+, Ausländer, Flüchtlinge, Indigene…
Wie klug es ist, staatliche und göttliche Macht zu verbinden, haben bereits vor fünf Jahrtausenden findige Staatsführer erkannt, denn mit dem Verdikt der «Strafe» lässt sich ein Volk noch leichter führen und kontrollieren, indem man ihnen die Verbindung «nach oben» zu Gott und «nach unten» zur Erde abschneidet. Nach oben übernimmt ein Priester den Kontakt mit dem «Höheren» und nach unten wird die Sexualität stark reglementiert: zölibatär leben, falls das nicht geht, unbedingt keusch/jungfräulich bleiben bis zur Ehe und Sexualität lediglich zur Fortpflanzung!
In der Folge unterstützten und errichteten politische Führer machtvolle religiöse Institutionen unter patriarchaler Führung, die sie als Staatsreligion einsetzten. Manche dieser Konstrukte verselbständigten sich und versuchten in der Überzeugung die absolute Wahrheit zu kennen und Gott auf Erden zu vertreten im Laufe der Zeit alle früheren religiösen Formen wie Naturreligionen mit altem Geist- und Erdwissen zu verdrängen, beispielsweise jene von Schamanen, Kelten und Aborigines. Dadurch geriet die direkte und ursprüngliche Verbindung des Menschen mit dem Göttlichen, die noch bei Purpur gefühlt wurde, weitgehend in Vergessenheit und ging im Nebel der Geschichte fast vollständig unter. Erst im Übergang von Grün zu Gelb werden diese Erinnerungen wiederbelebt.
Schönheit ist heilkräftige Harmonie aufgrund einer klaren inneren Ordnung und Stabilität sowie innerem Gleichgewicht, beispielsweise in der Natur oder beim Taj Mahal in Indien. Hier beginnt der Mensch bewusst Schönheit in die persönlichen und alltäglichen Dinge zu bringen. Voraussetzung dafür ist, Unordnung und Ungleichgewicht zu erkennen und selber aktiv zu versuchen, diese Dinge wieder in ein Gleichgewicht zu bringen sowie Ordnung und Harmonie zu schaffen. Dadurch fördern sie die Schönheit in ihrem Leben, was meistens auch nach aussen zur Natur und zu anderen Menschen hin ausstrahlt. Beispiele dafür sind alle handwerklichen Arbeiten: Hausarbeiten, Gartenarbeit, Coiffeur, Bäcker, Koch oder das Komponieren von Musik. Der Aufbau von klaren Strukturen, die Verbindung mit dem Klang/der Schwingung und der Kraft der Erde und mit verschiedenen Materialien sowie die Pflege von Pflanzen, Alltagsgegenständen und auch Menschen fördern die Wahrnehmung und führen im Laufe einer längeren Zeit zu tieferer Verbundenheit und Liebe.
+ Fördernd sind Übersicht und Ordnung mit klaren Regeln und Gesetzen, die eine gemeinsame Identität und Sinn stiften können – oder ein weiser Patron, der sich für seine Familie oder seine Firma einsetzt
- Hindernd sind hierarchisches Denken, welches verschiedene Klassen als selbstverständlich akzeptiert (z.B. in Indien inoffiziell noch immer ein Kastensystem)
Übergang Blau à Orange
In der erneuten Pendelbewegung in Richtung Individualität bekommt das Wort «Freiheit» zunehmend mehr Bedeutung und verlangt vom Individuum mehr Handlungsspielraum. Obwohl hohe moralische Werte beibehalten werden und «man» genau weiss, wie die Dinge sein sollten, nehmen perfektionistische Tendenzen und der absolutistische Zwang zur Pflichterfüllung langsam ab. Bedürfnisse und Wünsche werden zunehmend klarer kommuniziert und der individuelle Ausdruck der eigenen Persönlichkeit entwickelt sich weiter.
Urban