
Postmodernes Bewusstsein (Liebesbringer)
Endlich erwachsen sein fühlt sich «frei» an, und diese Motivation und Begeisterung möchte für eine erstrebenswerte, freudige und erfolgversprechende Zukunft eingesetzt werden, um den «eigenen Traum» zu leben und den «eigenen Platz in der Gesellschaft» zu finden. Es warten grundlegende Entscheidungen in Bezug auf Beruf, Liebe, Ehe und Familie, Werte und sozialem Engagement, was zu Verpflichtungen führt, in die über viele Jahre hinweg persönlich viel investiert wird.
Die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf konkrete Bindungen und Partnerschaften einzulassen, Intimität, Liebe und Mitgefühl auszutauschen und dabei die eigene Persönlichkeit und Identität zeitweilig zurückzustellen, um sich mit der anderer zu verbinden, wächst. Gemäss dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker Erik Erikson ist es der innere, moralische Kompass, der sich zu entwickeln beginnt und «der das Kennzeichen des Erwachsenen ist». Das rein rational-wissenschaftliche Weltbild öffnet sich hin zu einer ganzheitlicheren Lebensanschauung, in dem auch «gefühlte Erkenntnisse» (Intuition und Esoterik), der Schutz des Lebens und partnerschaftliches Miteinander relevant und wertvoll werden.
Das Wegweisende, das den Übergang in die grüne Ebene einleitete, war die Erforschung der Innenwelt: die Psychoanalyse! Ab ca. 1896 erforschte Sigmund Freud und anschliessend Alfred Adler erstmals systematisch das Unterbewusste, die Psyche, die das Verhalten des Menschen stark beeinflusst. Was „unter der Oberfläche“ des Tagesbewusstseins schlummert, erscheint dunkel, geheimnisvoll, unergründlich und beängstigend – so wie damals alles «Weibliche» unverständlich erschien im Jahrtausende alten Patriarchat. Man wusste nicht, was im Innern schlummert, denn man fokussierte sich bislang nur auf das männliche Prinzip, das «Sonnenhafte, Helle, Sichtbare und nach aussen gerichtete Tagesbewusstsein». Doch nun kommt das «Dunkle, Nächtliche, Mond- und Traumhafte, Unsichtbare, Unbekannte und die innere Tiefe» ins Bewusstsein: das weibliche Prinzip. Und mit ihm werden Gefühl und Mitgefühl, Fürsorge und Wachstum/ Entwicklung, Kommunikation und Zusammenarbeit, Körperbewusstsein und natürliche Rhythmen zunehmend stärker thematisiert. Durch diesen neuartigen Fokus auf das Innenleben verstärkt sich Schritt für Schritt die Selbstermächtigung von Frauen in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Und damit nahm die Auflösung des Patriarchats, das vor rund 10‘000 Jahren bei Rot begann, als die Menschen sesshaft wurden (neolithische Revolution[1]) seinen Anfang.
Einen weiteren Schritt, bisher Getrenntes wie Aussen- und Innenwelt, Körper und Geist, Alltags- und Traumebene, Grobstoffliches und Feinstoffliches zusammenzubringen gelang durch die analytische Psychologie von C.G. Jung. Er beleuchtete unter anderem das kollektive Unbewusste und die Individuation, d.h. die Persönlichkeitsentwicklung/Selbst-Werdung des Menschen, Traumdeutung, Komplexe sowie Animus/Anima die besagen, dass jeder Mensch das männliche und weibliche Prinzip in sich trägt. Unterstützt wurde diese Verbundenheit bald durch die Erkenntnisse der Gehirnforschung, welche die Wichtigkeit beider Gehirnhälften unterstreicht. – Durch diese Verbundenheit wächst die Sicht von der Ganzheit des Menschen und seiner Einheit mit allem Lebendigen.
Wer beginnt, sich ernsthaft auf die Innenwelt einzulassen, spürt, dass man nicht mehr so ohne weiteres in das Oberflächliche, Laute und Schemenhafte der Welt hineinpasst. Ein schmerzhafter, mentaler und emotionaler Umbruch ist die Folge. Wenn sich dadurch das Weltbild im Erwachsenenalter grundlegend verändert, nimmt die Verbundenheit mit sich und der Natur weiter zu und die Eigenverantwortung steigt. Dadurch weitet sich auch die Verpflichtung sich auch um andere zu sorgen und die soziale und ökologische Verantwortung für die Natur und die ganze Welt zu übernehmen. Das zeigt sich beispielsweise am Einsatz für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes oder für die Meeressäuger als Hüter der Meere, für die Rechte von Minderheiten, Randgruppen und Benachteiligten: für LGBTIQ+-Menschen, für Drogensüchtige, für Armutsbetroffene, für Ausländer, für Fahrende, für Obdachlose und für Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie alle sollen akzeptiert, respektiert, geliebt und in die Gesellschaft integriert werden, denn Diversität wird als Bereicherung empfunden. Das heutige Wort für diesen Gemeinschaftssinn ist Inklusion. Wie leicht werden doch all diese Menschen von unserer Leistungsgesellschaft vergessen? Und liessen sich die Ressourcen von Natur und Gesellschaft mit allen teilen? – Erstrebenswert wird ein Gleichgewicht des Lebens auf unserem Planeten, das durch den individualistischen und materialistischen Fokus des «Modernen Bewusstseins» gefährdet wurde. Nachhaltigkeit bekommt so einen grossen Stellenwert.
Während der technisch-wissenschaftliche Fortschritt Blüten treibt – z.B. 1916 Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie oder der Tonfilm ab 1927, der die Welt verändern wird – entstehen bereits ab den 20er-Jahren verschiedene ganzheitliche Konzepte, beispielsweise in der Reformpädagogik (Maria Montessori, Rudolf Steiner…), in der Komplementärmedizin, (Homöopathie, Ayurveda-Medizin…) in der KomplementärTherapie, (Kinesiologie, Polarity, Shiatsu, Yoga…) sowie im Tanz (Martha Graham, Mary Wigman…). Wie wichtig soziale Beziehungen in der Arbeitswelt sind, zeigten die Hawthorne-Studien 1924-1933. Sie waren Wegbereiter für die Human-Relations-Bewegung, die eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen in Betrieben anstrebte.
Dieser Wertewandel und die Suche nach Verbundenheit bewegen das kollektive Pendel zunehmend mehr in Richtung Gemeinschaft, bewusster Ökologie und Selbsterkenntnis. Es entstehen Umweltorganisationen (z.B. WWF, Greenpeace) und Lebensgemeinschaften, mit zentralen Elementen wie Naturverbundenheit, Psychologie, Kunst und Tanz.
Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) bahnt sich ein weiterer Meilenstein zur gesellschaftlichen Transformation an, die 68er: «All you need is Love» sangen die Beatles – viele Frauen und Männer wollen gleichwertig und gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Für die Emanzipation der Frauen war die Entwicklung der Pille 1968 sowie Mitte der 70er-Jahre die Legalisierung von Abtreibungen (Jane Collective) sehr wichtig. Sie gab ihnen erstmals ein Machtmittel in die Hand, um autonom über ihren eigenen Körper und ihre Empfängnis zu bestimmen. Dadurch eröffneten sich neue Möglichkeiten für freiere Formen von Liebe, Sex und Partnerschaft.
Unter dem Slogan «Make love, not war» protestieren vorwiegend junge Menschen für neue Lebensformen, für die Legalisierung von Drogen, für die Abschaffung der Rassentrennung in den USA (ihre Ikone, der Bürgerrechtler Martin Luther King, wurde am 4. April 1968 in Memphis erschossen) und gegen den Hunger, gegen das weltweite Unrecht des Imperialismus und gegen den Vietnamkrieg der USA. Es ist die Zeit des legendären Woodstock-Festivals «3 Days of Peace & Music» (15.-18. August 1968) und der ersten Mondlandung (20. Juli 1969).
Als Folge dieses radikalen Wertewandels steht die Erkenntnis, dass es nicht DIE objektive Realität gibt oder DIE eine Wahrheit wie Platons Höhlengleichnis darlegt, sondern dass alles relativ ist. Dies zeigt beispielsweise der Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenphysik, wonach Objekten gleichermassen die Eigenschaften von Wellen als auch von Teilchen zugeschrieben werden müssen, d.h. die bisher geltende Trennung von Geist und Materie hat keine Gültigkeit mehr. So gibt es Quantenfelder, die sich permanent verändern. Im Relativismus gibt es also keinen festen «Ort», von dem aus exakt geurteilt und beurteilt werden kann und nicht alle Antworten können rein rational gefunden werden. Es geht nicht mehr darum, alles im Sinne von richtig oder falsch bzw. überprüfbar oder nicht überprüfbar zu betrachten, um danach leben zu können. Oder wie Rumi es ausdrückte: «Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch. Dort wollen wir uns begegnen.» Alles ist konstruiert oder in einem anderen Bild: Alle Menschen betrachten die Welt durch eine von ihren Erfahrungen, Wahrnehmungen, Handlungen, Emotionen und Glaubenssystemen gefärbte Brille.
Der gemeinschaftsorientierte Mensch fühlt sich als Weltbürger, frei von Dogmen, befürwortet multikulturelles, friedliches Zusammenleben und fühlt sich in Netzwerken, Gruppen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Stiftungen, die sich für Gemeinwohl, Bildung und innere Entwicklung einsetzen, wohl. In Gruppen wird jedem Raum gegeben, sich und seine Meinungen auszudrücken. Entscheidungen werden durch Konsens getroffen und die Zusammenarbeit wird gefördert – auch auf internationaler Ebene, beispielsweise Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen.
+ Fördernd sind o transdisziplinäre Zusammenarbeit/Kooperation statt Konkurrenz – Konsens statt Konflikt o prozessorientiertes statt zielorientiertes Handeln o SEIN und Fühlen statt in erster Linie «Machen» o mehr auf das Hier und Jetzt fokussiert sein o Reisen wird aufgrund des technischen Fortschritts zunehmend einfacher und günstiger, was den direkten Kontakt mit anderen Kulturen und dem bis anhin «Fremden» fördert und somit Ängste abbaut und das Bewusstsein noch weiter öffnet o Feminismus o Versöhnungsprozesse, beispielsweise der Kniefall von Willy Brandt 1970 als Bitte um Vergebung oder nach dem Nordirlandkonflikt (1969–1998) oder nach der Apartheid (ca. 1900-1990) in Südafrika
- Hindernd sind: o die Ablehnung aller traditionellen Rollenidentitäten der Gesellschaft o eine deutliche Abwendung vom ausschliesslich «Rationalen» der orangen Existenzebene o manchmal wird mit der Fähigkeit, andere sein zu lassen, wie sie sind, und sie tun zu lassen, was sie wollen (laissez-faire) etwas übertrieben
Übergang Grün à Gelb (zeitlich ab den 68er Jahren)
Was jetzt folgt, ist nicht bloss ein weiterer Übergang. Nun vollzieht sich ein "grosser Bewusstseinssprung" ins Integrale! – Die ersten sechs Existenzebenen beschreiben unterschiedliche Arten, was man HABEN muss, um zu überleben – und sie konkurrieren miteinander: was war, wurde vom Neuen bekämpft und das Neue vom Bisherigen. Dadurch, dass man sich auf den nun folgenden integralen Ebenen nicht länger mit einem oder einigen spezifischen Wertesystemen identifiziert, die mit anderen in Konflikt stehen, lässt sich alles bisher Dagewesene integrieren, wie ihr Name sagt!
Ursache dieser längeren Transformationsphase ist eine tiefe Sinn- und Existenzkrise, die in eine radikale Umkehr, eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, das Ganzheitliche, den Ursprung des Lebens und das SEIN, mündet. Dabei werden blockierte Gefühle und einengende Gedankenmuster aufgelöst und man verabschiedet sich von allen unreflektierten «Spielen der Erwachsenen» wie Schuldzuweisungen, Machtspielen, Projektionen auf Feindbilder, passive Aggressivität, Opferrollen, emotionaler Missbrauch und egoistische Manipulationen. Es gibt keinen Grund mehr, dass sich der Ärger wie bisher ein Opfer sucht. In der Folge wird innerer Frieden zunehmend stärker spürbar, auch ohne äussere «Sicherheiten». Und die Schwere des Materiellen, Anhaftenden und der Identifikationen nimmt ab.
In dieser Übergangszeit beginnt eine Befreiung von der Dominanz des Materiellen (physisch), von einengenden Vorstellungen (mental), Ängsten (emotional), dem Gefühl nicht verbunden zu sein (spirituell) und in der eigenen Entfaltung eingeschränkt zu sein (kreativ). Dies sind Zeichen eines langen Prozesses, eines «inneren Weges», auf dem sich der Mensch in allen 5 Kernkapazitäten revolutionierend umzugestalten beginnt.
Nachdem man die 6. Existenzebene hinter sich gelassen hat, führen ein zunehmend stärkerer innerer Frieden und eine zunehmende Sicht der Ganzheit dazu, alle vorgängigen Ebenen zu akzeptieren und die Fähigkeit, jede Ebene situativ angemessen zu nutzen.
______
[1] Mit zunehmender Sesshaftigkeit führten patriarchale Strukturen dazu, dass die Möglichkeit des Menschen sich zu öffnen – nach oben zu Gott (Himmel) und nach unten zur Göttin (Erde) – und sich somit selber mit Himmel und Erde zu verbinden, weitgehend unterbunden wurde. «Nach oben» wurden Priester eingesetzt. Nunmehr konnten die Menschen nur noch durch sie mit dem Göttlichen in Verbindung treten. Und nach unten wurde die Sexualität stark eingeschränkt und zeitweise als Sünde verdammt, z.B. Augustinus (354–430 n. Chr.). – Die natürliche Verbindung und Verbundenheit waren so während rund 10‘000 Jahren nur wenigen Menschen möglich. Erst als nach der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der 1. Welle der Frauenbewegung auch Frauen zu höherer Bildung zugelassen wurden und die Psychologie mit ihrer neuartigen Innensicht erwachte, begann sich das Blatt zu wenden.
Urban
Spiral Dynamics – Postmodernes Bewusstsein – als pdf